
Eine Schwerbehinderung darf im Mietalltag nicht zum Hindernis werden. Das Gesetz schützt Sie deutlich besser, als viele glauben. Sie haben nicht nur ein Mitspracherecht, sondern in vielen Fällen echte Ansprüche: auf bauliche Anpassungen, auf Duldung technischer Hilfen, auf faire Abwägung bei Kündigungen – und auf respektvolle Behandlung ohne Benachteiligung. Dieser Leitfaden erklärt in verständlicher Sprache, was Sie als Mieter mit Schwerbehinderung durchsetzen können, wie Sie dabei vorgehen und welche Urteile Ihnen Rückenwind geben.
Lesen Sie in diesem Ratgeber:
Das Wichtigste zuerst: Der Gesetzgeber gibt Ihnen handfeste Rechte. In vielen Fällen muss der Vermieter die barrierearme Umgestaltung Ihrer Wohnung erlauben. Hier lesen Sie, welche Maßnahmen darunterfallen, wie Sie vorgehen und wo Grenzen liegen.
Nach § 554 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können Mieter verlangen, dass der Vermieter bauliche Veränderungen erlaubt, die „dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen“ dienen. Der Anspruch entfällt nur, wenn die Maßnahme selbst unter Abwägung aller Interessen unzumutbar ist. Praktisch bedeutet das: Rampen, Türverbreiterungen, schwellenarme Übergänge, Haltegriffe oder eine bodengleiche Dusche können regelmäßig durchgesetzt werden.
Wichtig: Sie tragen die Kosten, nicht der Vermieter. Er kann seine Zustimmung an eine vertraglich zu vereinbarende angemessene Sicherheit für den späteren Rückbau knüpfen. Wird eine solche Sicherheit vereinbart, kann sie zusätzlich zur Mietkaution verlangt werden.
Konkrete Beispiele zeigen, wie Gerichte entscheiden:
Der Kostenrahmen schreckt viele ab, doch rechtlich ist die Lage klar: Die Aufwendungen für den Umbau tragen Sie. Der Vermieter darf seine Zustimmung vom Nachweis der Kostenübernahme und – soweit vertraglich vereinbart – von einer zusätzlichen Sicherheitsleistung für den Rückbau abhängig machen. Diese Sicherheit kann zusätzlich zur Mietkaution vereinbart werden. Ein Anspruch auf Ratenzahlung besteht grundsätzlich nicht. Zudem müssen Sie die Wohnung bei Auszug auf Verlangen wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen.
Sie erhöhen Ihre Erfolgschancen, wenn Sie strukturiert vorgehen. Ein sauberer Antrag, die richtigen Unterlagen und ein realistischer Zeitplan sind Gold wert.
Stellen Sie Ihren Antrag auf Zustimmung schriftlich. Beschreiben Sie präzise: welche Maßnahme, wo, warum (medizinischer Bedarf) und wie sie durchgeführt wird. Fügen Sie bei:
Verweisen Sie auf § 554 BGB und setzen Sie eine angemessene Frist (z. B. 3–4 Wochen) für die Antwort.
Reagiert der Vermieter nicht oder lehnt er ohne tragfähige Gründe ab, kommen Duldungsklage und (in Ausnahmefällen) Schadensersatz in Betracht. Deutlich wurde das im Fall der Rollstuhlrampe in Berlin: Die Vermieterin verweigerte über längere Zeit den barrierefreien Zugang – das Landgericht bewertete dies als unmittelbare Benachteiligung und sprach 11.000 € zu (LG Berlin, 30.09.2024, 66 S 24/24).
Viele Barriere-Maßnahmen betreffen Gemeinschaftsflächen (Treppenhaus, Eingangsbereich). Muss der Eingriff am Gemeinschaftseigentum stattfinden, braucht Ihr Vermieter regelmäßig die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft. Das verzögert zwar das Verfahren, ändert aber nichts daran, dass die Maßnahme grundsätzlich zu dulden ist, wenn sie erforderlich und zumutbar ist. Zudem trifft den Vermieter die Pflicht, die nötigen WEG-Beschlüsse aktiv herbeizuführen.
Nicht alle Hürden sind baulich. Manches spielt sich im Alltag ab: beim Thema Hundehaltung, dem Parken vor der Haustür oder bei Modernisierungen im Haus. Hier gilt: Genau hinschauen, differenziert argumentieren.
Pauschale Tierhaltungsverbote in Formularmietverträgen sind unwirksam (BGH, Urteil vom 20.03.2013, VIII ZR 168/12). Auch Instanzgerichte verlangen, dass Vermieter eine Interessenabwägung vornehmen und Genehmigungen nicht ohne wichtigen Grund verweigern (AG München, Urteil vom 03.08.2018, 411 C 976/18).
Für Assistenz- oder Therapiehunde bedeutet das: Mit ärztlichem Nachweis der therapeutischen Funktion steigen Ihre Chancen deutlich; in vielen Fällen muss der Vermieter die Haltung dulden. Allerdings dürfen Gemeinschaftsflächen nicht eigenmächtig umgestaltet werden: Ein Hundezaun auf der Rasenfläche oder Einfriedungen ohne Erlaubnis bleiben unzulässig (AG Brandenburg, Urteil vom 06.05.2025, 31 C 153/24). Bitten Sie schriftlich um Genehmigung, legen Sie Attest und Haltungsregeln vor – das überzeugt in der Praxis.
Ein persönlicher Behindertenparkplatz auf öffentlicher Straße ist Verwaltungsrecht. Die Kommune entscheidet nach klaren Kriterien. Es gibt keinen Automatismus, Anträge können abgelehnt werden – was Betroffene oft erst im Widerspruchsverfahren klären.
Anders ist es auf privatem Grund: Gehört zu Ihrer Mietsache ein Stellplatz, können Sie dort – im Rahmen des Mietvertrags – Vorkehrungen treffen (z. B. markierte Fläche), soweit keine Rechte Dritter verletzt werden und der Vermieter zustimmt.
Plant der Vermieter Modernisierungen (z. B. energetische Maßnahmen nach § 555b BGB), dürfen daraus Mieterhöhungen folgen. Für schwerbehinderte Mieter zählt aber die Zumutbarkeit: Bauarbeiten müssen so geplant sein, dass Ihre besondere Situation berücksichtigt wird (Zugang, Ruhezeiten, Staubschutz). Sind vorübergehende Hilfsmaßnahmen nötig (Ersatz-WC, provisorische Rampe), sprechen Sie das frühzeitig an und dokumentieren Absprachen. Zudem kann in Einzelfällen eine Härte gegen Mieterhöhungen oder Baumaßnahmen geltend gemacht werden – hier beraten Fachanwälte für Mietrecht individuell.
Selbst wenn eine Eigenbedarfskündigung formal wirksam ist, müssen Sie nicht automatisch ausziehen. Das Gesetz kennt die Sozialklausel: Ist der Umzug für Sie eine unzumutbare Härte, können Sie Widerspruch einlegen – mit guten Erfolgsaussichten, wenn Sie sauber begründen.
Nach § 574 BGB dürfen Sie der Kündigung widersprechen, wenn deren Folgen für Sie – oder Haushaltsangehörige – eine nicht zu rechtfertigende Härte bilden. Maßgeblich ist eine Abwägung: Ihr Schutzinteresse (z. B. schwere Krankheit, Behinderung, fehlender Ersatzwohnraum) gegen das Eigentumsinteresse des Vermieters. Der BGH betont: Es reicht, wenn ernsthaft wahrscheinlich ist, dass die Gesundheit durch den Umzug erheblich leidet; ein sicherer Nachweis des Schadenseintritts ist nicht nötig (BGH, Urteil vom 22.05.2019, VIII ZR 180/18).
Ein prominentes Beispiel: Das Landgericht Heidelberg entschied am 20.06.2024 (Az. 5 S 46/23), dass eine schwerbehinderte Frau trotz berechtigten Eigenbedarfs der Vermieterin in der Wohnung bleiben darf. Das Gericht stellte die besondere Schutzbedürftigkeit der Mieterin und die konkrete Unzumutbarkeit eines Umzugs in den Vordergrund und hob damit die erstinstanzliche Entscheidung auf.
Für Betroffene zeigt das Urteil: Der Härteeinwand ist kein Feigenblatt, sondern kann den Verbleib sichern, wenn die individuelle Lage dies erfordert.
Entscheidend ist Ihr Sachvortrag. Einige Gerichte erwarten fachärztliche Atteste oder zumindest detaillierte medizinische Stellungnahmen, die den Zusammenhang zwischen Behinderung/Krankheit und Umzugsunfähigkeit erklären. Es muss nicht zwingend ein Facharzt sein – Hauptsache, die Darstellung ist konkret, nachvollziehbar und belegt.
In jedem Fall gilt: Legen Sie Befunde vor, beschreiben Sie die Wohnumgebung (Barrieren, Nahversorgung, Pflege), dokumentieren Sie vergebliche Wohnungssuche und bieten Sie Mitwirkung an (Besichtigungen, Terminabsprachen). So erhöhen Sie die Chancen, dass das Gericht die Härte anerkennt.
In unseren FAQs werfen wir einen Blick auf die häufigsten Fragen zum Thema.
Grundsätzlich zu dulden sind Maßnahmen, die den Gebrauch der Wohnung durch Menschen mit Behinderungen ermöglichen oder erleichtern. Typische Beispiele: Rampen, Türverbreiterungen, schwellenarme Übergänge, Haltegriffe, bodengleiche Duschen – je nach Zumutbarkeit im Einzelfall. Nur wenn die Maßnahme unzumutbar ist, darf der Vermieter ablehnen.
Die Kosten zahlen grundsätzlich Sie als Mieter. Der Vermieter kann seine Zustimmung von einem Kostennachweis und – wenn vertraglich vereinbart – einer zusätzlichen Sicherheit für den Rückbau abhängig machen (neben der Kaution). Beim Auszug kann die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands verlangt werden.
Pauschale Tierhaltungsverbote sind unwirksam. Es ist eine Interessenabwägung nötig. Mit ärztlichem Nachweis der Assistenz-/Therapiefunktion steigen die Chancen erheblich. Oft ist die Haltung zu dulden. Gemeinschaftsflächen dürfen jedoch nicht ohne Erlaubnis umgestaltet werden.