Wenn Ihr Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigt, können Sie sich mit einem sogenannten Härteeinwand nach § 574 BGB wehren. Der Gesetzgeber gibt Ihnen damit ein Gegengewicht an die Hand: Liegt eine unzumutbare Härte vor, darf das Mietverhältnis fortgesetzt werden oder das Gericht gewährt zumindest eine lange Räumungsfrist. Damit Ihr Einwand wirkt, müssen Sie aber strukturiert vorgehen, Beweise sammeln und alles rechtzeitig vortragen.
Dieser Ratgeber erklärt Schritt für Schritt, wie Sie Ihren Härteeinwand überzeugend begründen.
Lesen Sie in diesem Ratgeber:
Ein Härteeinwand setzt voraus, dass die Kündigung für Sie oder Angehörige Ihres Haushalts Folgen hätte, die weit über die üblichen Umzugslasten hinausgehen. Die Gerichte prüfen dabei zwei Seiten: das berechtigte Interesse des Vermieters und Ihr Schutzbedürfnis. Nur wenn Ihr Nachteil deutlich schwerer wiegt, bekommen Sie Recht.
Der Gesetzestext schützt nicht nur Sie als Mieter, sondern auch Familienmitglieder, Lebenspartner, Pflegekinder oder weitere Personen, die dauerhaft in Ihrem Haushalt leben. Das ist wichtig, wenn etwa pflegebedürftige Eltern oder chronisch kranke Kinder betroffen sind.
Härtegründe können wirtschaftlich, gesundheitlich, familiär oder persönlich sein. Klassisch sind schwere Krankheiten, Behinderungen, hohes Alter mit starker Verwurzelung im Viertel oder das Fehlen bezahlbarer Ersatzwohnungen. Reine Unannehmlichkeiten – Kartons packen, Adressänderungen – reichen dagegen nie (BGH, Urteil vom 20.03.2013, VIII ZR 233/12).
Jeder Fall ist anders. Die folgenden Kategorien helfen Ihnen, Ihren eigenen Härtegrund richtig einzuordnen und greifbar zu machen.
Leidet eine Person Ihres Haushalts an einer ernsthaften physischen oder psychischen Erkrankung, kann schon die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der Gesundheit den Umzug unzumutbar machen. Das gilt etwa bei Angststörungen, Suizidgefahr, Querschnittslähmung oder Sehbehinderung. Nach der Rechtsprechung genügt es, wenn die Gesundheitsgefahren ernsthaft wahrscheinlich sind (BGH, Urteil v. 22.05.2019, VIII ZR 180/18). Sie müssen nicht beweisen, dass der Schaden sicher eintritt. Ein fachärztliches Attest ist allerdings unerlässlich. Ein bloßer Behindertenausweis reichte jüngst nicht (AG Flensburg, Urteil v. 04.12.2024, 61 C 55/24).
Allein das Alter schützt nicht. Entscheidend ist, ob Ihnen der Wechsel in eine fremde Umgebung die Lebensführung praktisch unmöglich macht. Gerichte akzeptieren einen Härteeinwand häufig bei über 80-Jährigen, die stark auf das soziale Netz im Viertel angewiesen sind und nur noch kurze Wege bewältigen können. In großen Städten dürfen Sie die Suche deshalb auf Ihr gewohntes Quartier beschränken.
Kurz vor und einige Wochen nach der Geburt belastet jeder Umzug unverhältnismäßig stark. Die Rechtsprechung erkennt in dieser Zeitspanne regelmäßig eine Härte an, insbesondere wenn weitere kleine Kinder versorgt werden müssen. Dokumentieren Sie daher ärztliche Termine und den voraussichtlichen Geburtstermin.
Auch wenn gesundheitliche Gründe fehlen, kann Wohnungsmangel eine Härte sein. Voraussetzung: Sie zeigen konkret, dass Sie trotz intensiver Suche nichts Vergleichbares gefunden haben. Halten Sie Inserate, E-Mails und Absagen fest. Ein Verweis auf den „angespannten Wohnungsmarkt“ genügt nicht, wie der Bundesgerichtshof betont (BGH, Urteil vom 11.12.2019, VIII ZR 144/19). Bei geringem Einkommen prüfen Gerichte zudem, ob Sie Wohngeld oder Jobcenter-Hilfe beantragt haben.
Ein stichhaltiger Härteeinwand steht und fällt mit präzisem Vortrag. Nutzen Sie die nachstehenden Schritte als Checkliste.
Schreiben Sie sofort nach Zugang der Kündigung alles auf, was den Umzug erschwert: Diagnosen, Pflegegrade, Mobilitätseinschränkungen, Kindergartenplätze, Arbeitswege, Mietbudget. Für jedes Detail brauchen Sie Belege: ärztliche Bescheinigungen, Pflegegutachten, Gehaltsabrechnungen, Kontoauszüge oder Schul- und Kita-Bestätigungen. Bewahren Sie alles griffbereit auf.
Atteste müssen von Fachärzten stammen und die wesentlichen Fragen beantworten: Welche Erkrankung liegt vor? Weshalb gefährdet ein Umzug die Gesundheit? Wie groß ist die Verschlechterungsgefahr? Ein Zweizeiler ist zu wenig. Bitten Sie Ihre Ärztin um eine ausführliche Begründung. Kommt der Vermieter dem Attest mit Nichtwissen entgegen, muss das Gericht in der Regel einen Sachverständigen einschalten (BGH, Urteil v. 28.04.2021, VIII ZR 6/19). Ohne Attest riskieren Sie, wie im Fall vor dem AG Flensburg, dass Ihr Einwand als „unsubstantiiert“ abgewiesen wird.
Beginnen Sie parallel zur Widerspruchsfrist mit der Wohnungssuche. Führen Sie ein Suchtagebuch mit Datum, Adresse, Miete, Kontaktperson und Ergebnis. Heben Sie Screenshots von Online-Inseraten auf. Beauftragen Sie notfalls einen Makler, wenn Ihnen das objektiv zumutbar ist. So belegen Sie, dass Sie alles Erforderliche versucht haben.
Ihr Widerspruch muss dem Vermieter spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist vorliegen (§ 574 b BGB). Versenden Sie das Schreiben per Einwurf-Einschreiben oder lassen Sie es persönlich gegen Empfangsbestätigung übergeben. Fügen Sie sämtliche Kopien Ihrer Belege bei und kündigen Sie an, weitere Unterlagen kurzfristig nachzureichen, sobald Sie sie erhalten.
Selbst ein starker Härtegrund kann scheitern, wenn er nicht sauber vorgetragen wird. Verstehen Sie deshalb die Spielregeln vor Gericht.
Sie tragen die volle Darlegungs- und Beweislast für Ihre Härtegründe. Der Vermieter darf alles mit Nichtwissen bestreiten. Dann verlangt das Gericht einen konkreten und vollständigen Vortrag. Pauschale Hinweise wie „ich bin schwer krank“ reichen nicht. Zeigen Sie, welche Beschwerden auftreten und welche Folgen ein Umzug hätte. Ohne Substanz bekommen Sie kein Gutachten, weil das Gericht sonst einen unzulässigen „Ausforschungsbeweis“ erheben würde (AG Flensburg, Urteil vom 04.12.2024, 61 C 55/24).
Legt Ihr Attest eine ernsthafte Gesundheitsgefahr nahe, muss das Gericht bei Zweifel oft ein Sachverständigengutachten anordnen. Tut es das nicht, obwohl das Attest eindeutig ist, kann das eine Verletzung Ihres rechtlichen Gehörs nach Art. 103 GG sein. Dann haben Sie gute Chancen in der Berufung oder mit einer Nichtzulassungsbeschwerde (BGH, Urteil vom 28.04.2021, VIII ZR 6/19).