
Wenn Sie in einer Eigentumswohnanlage zur Miete wohnen, führt der Weg zur Straße oft über Flächen, die „allen gehören“ – also Gemeinschaftseigentum sind. Genau dazu hat der Bundesgerichtshof jetzt Folgendes klargestellt: Wenn Sie dort auf Eis ausrutschen, kann sich Ihr Vermieter nicht einfach hinter der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) oder einem beauftragten Winterdienst verstecken. Er bleibt Ihr Ansprechpartner.
In diesem Ratgeber fassen wir die wichtigsten Informationen zum Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. August 2025 (VIII ZR 250/23) für Sie zusammen.
Lesen Sie in diesem Ratgeber:
Der Bundesgerichtshof hatte einen typischen Winterfall auf dem Tisch: Eine Mieterin war morgens auf einem vereisten Weg gestürzt und verlangte Schmerzensgeld. Vor den unteren Gerichten hatte sie noch verloren – jetzt hat der BGH entschieden: So geht das nicht.
Die Mieterin wohnte in einer Eigentumswohnanlage. Der Weg vom Hauseingang zur öffentlichen Straße gehörte allen Wohnungseigentümern gemeinsam. Für diesen Weg hatte die Wohnungseigentümergemeinschaft eine Firma mit dem Winterdienst beauftragt. An einem Januarmorgen 2017 war es glatt, es wurde aber nicht gestreut. Die Mieterin stürzte schwer und musste sich lange behandeln lassen. Sie verlangte von ihrer Vermieterin u.a. 12.000 Euro Schmerzensgeld – damit war sie beim Amtsgericht Wetzlar zunächst erfolgreich (AG Wetzlar, Urteil vom 16.2.2023, 35 C 158/21). Das Landgericht Limburg hob das Urteil aber wieder auf.
Das Landgericht argumentierte: Nicht die Vermieterin sei verantwortlich, sondern die Wohnungseigentümergemeinschaft – die habe schließlich den Winterdienst sauber delegiert. Die Vermieterin müsse nur dann haften, wenn sie den Dienstleister schlecht ausgesucht oder gar nicht kontrolliert habe. Solche Fehler waren aber nicht erkennbar, also: keine Haftung. Genau diese Sicht hat der BGH kassiert und das Urteil zurückverwiesen.
Der BGH sagt: Für Sie als Mieter ist entscheidend, wer mit Ihnen den Mietvertrag geschlossen hat. Dieser Vermieter schuldet Ihnen nicht nur die Wohnung, sondern auch den sicheren Zugang zur Wohnung – also den Weg vom Haus bis zur Straße. Das gilt „in den Wintermonaten“ ausdrücklich fürs Räumen und Streuen. Und das gilt auch dann, wenn der Vermieter nur einer von mehreren Eigentümern ist oder die WEG den Winterdienst vergeben hat. Holt sich der Vermieter dafür Hilfe, dann ist diese Hilfe sein „Erfüllungsgehilfe“. Für dessen Fehler muss er nach § 278 BGB einstehen.
Sie dürfen darauf vertrauen, dass der Weg zu Ihrer Mietwohnung sicher ist – und Sie dürfen sich im Schadensfall an Ihren Vermieter halten. Gemeinschaftsflächen sind kein juristisches Niemandsland. Das stärkt Ihre Position deutlich.
Der BGH betont ausdrücklich, dass die mietvertragliche Pflicht unabhängig von den Eigentumsverhältnissen besteht. Ob das Grundstück im Alleineigentum oder im Gemeinschaftseigentum steht, spielt für Sie keine Rolle. Sie haben Ihren Vertrag mit dem Vermieter, also dürfen Sie ihn auch in Anspruch nehmen. Ein Verweis nach dem Motto „dafür ist die Hausgemeinschaft zuständig“ reicht nicht. Für Sie ist das praktisch, weil Sie nur einen Anspruchsgegner haben und nicht erst die WEG, den Verwalter oder den Dienstleister ermitteln müssen. Der Vermieter kann sich danach im Innenverhältnis mit der WEG oder dem Dienstleister auseinandersetzen – das ist aber nicht Ihr Problem.
Natürlich darf ein Vermieter Aufgaben wie den Winterdienst an die WEG, an den Hausmeisterdienst oder an ein externes Unternehmen abgeben. Das ist zulässig und in großen Anlagen auch sinnvoll. Aber: Er wird dadurch nicht aus seiner Haftung entlassen. Nach § 278 BGB muss er sich das Verschulden des Dienstleisters zurechnen lassen – selbst dann, wenn er den gar nicht direkt steuern kann, weil die WEG den Vertrag abgeschlossen hat. Die mietvertragliche Pflicht bleibt beim Vermieter. Das ist genau der Kern des Urteils: kein Freifahrtschein für Vermieter auf Gemeinschaftsflächen.
Viele Mietverträge enthalten Klauseln wie: „Der Mieter hat den Gehweg zu reinigen und bei Glätte zu streuen.“ Im entschiedenen Fall stand genau das auch drin. Aber dort stand zusätzlich: „… nur, soweit das nicht anderweitig vorgenommen wird.“ Weil die WEG hier nun einen Dienst beauftragt hatte, war die Mieterin gerade nicht mehr selbst verpflichtet – und genau deshalb blieb die Pflicht beim Vermieter.
Prüfen Sie also: Gibt es eine klare, eindeutige Übertragung des Winterdienstes auf Sie? Wenn nein oder wenn die WEG ohnehin räumt, bleibt es bei der Verantwortung des Vermieters.
Das Urteil dreht sich zwar um Schmerzensgeld, aber die Grundsätze gelten für mehrere Arten von Ansprüchen. Entscheidend ist: Der Vermieter hat eine Nebenpflicht verletzt, weil er keinen sicheren Zugang ermöglicht. Daraus folgen die üblichen mietrechtlichen Schadensersatzansprüche.
Stürzen Sie wegen nicht geräumter oder nicht gestreuter Wege und verletzen Sie sich, können Sie ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen. Im Ausgangsfall ging es um 12.000 Euro – eine Größenordnung, die zeigt, dass Gerichte solche Verletzungen ernst nehmen. Zusätzlich können Sie materielle Schäden ersetzt verlangen: Arztkosten, Zuzahlungen, Fahrtkosten zu Behandlungen, Verdienstausfall, ggf. auch Haushaltshilfe. Wichtig ist der Zusammenhang: Der Schaden muss gerade durch die unterlassene Sicherung entstanden sein.
Weil der BGH hier einen vertraglichen Anspruch bejaht, profitieren Sie außerdem von der Beweislastregel des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB: Der Vermieter muss erklären, warum ihn kein Verschulden trifft – nicht Sie müssen das Gegenteil beweisen. Das ist ein echter Vorteil gegenüber rein deliktischen Ansprüchen gegen die WEG.
Ganz „automatisch“ bekommen Sie den vollen Betrag aber nicht in jedem Fall. Ein gewisses Risiko auf vereisten Wegen gehört zum Alltag und daher kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalls an. Haben Sie sich besonders unvorsichtig verhalten, kann Ihr Anspruch gekürzt werden. Wer morgens um 7.00 Uhr sein Haus verlässt, handelt nicht allein wegen der frühen Uhrzeit leichtsinnig. Ein Mitverschulden kommt eher dann in Betracht, wenn Sie eine offensichtlich spiegelglatte Fläche ohne Not betreten oder Warnhinweise ignorieren.
Grundsätzlich gilt: Lassen Sie sich von einem pauschalen „da sind Sie doch selbst schuld“ nicht einfach abwimmeln.
Das Urteil hilft Ihnen nur, wenn Sie Ihre Ansprüche im Ernstfall auch sauber vorbereiten. Eine lückenlose Dokumentation, eine schnelle Meldung und ein klarer Bezug auf das BGH-Urteil machen es Ihrem Vermieter schwer, sich herauszureden.
Wenn Sie stürzen, machen Sie – oder lassen Sie machen – sofort Fotos vom Zustand des Weges: Wo genau lag die Eisfläche? War gestreut? War es noch dunkel? Notieren Sie Uhrzeit, Datum und Zeugen. Heben Sie später auch Arztberichte und Quittungen auf. All das zeigt, dass es nicht nur „irgendwie glatt“ war, sondern dass eine konkrete Sicherungspflicht verletzt wurde. Gerade weil der BGH sagt, dass der Vermieter sich nicht hinter der WEG verstecken darf, ist es für Sie wichtig zu zeigen, welche Fläche betroffen war – nämlich eine Gemeinschaftsfläche, die zum Zugang zur Wohnung gehört.
Melden Sie den Unfall Ihrem Vermieter schriftlich und verweisen Sie dabei auf das Urteil des BGH vom 6. August 2025 (VIII ZR 250/23). Fordern Sie eine Bestätigung des Versicherungsschutzes und setzen Sie eine Frist zur Stellungnahme. So bringen Sie den Vermieter in Zugzwang – er muss sich dann selbst mit der WEG oder dem Winterdienst auseinandersetzen. Das müssen Sie nicht übernehmen. Idealerweise nutzen Sie die Unterstützung eines Fachanwalts für Mietrecht, der Sie bei der Geltendmachung von Ansprüchen in jeder Phase unterstützen kann.