Eigenbedarfskündigung – Urteil des LG Heidelberg setzt neue Maßstäbe
In diesem Ratgeber:
- Wann der Vermieter wegen Eigenbedarf kündigen darf
- Beispiele für einen berechtigten Anspruch des Vermieters
- Härtefallregelung – wann Mieter geschützt sind
- Urteil des Landgerichts Heidelberg – der Fall und die Begründung
- Die Rechte von Mietern bei einer Eigenbedarfskündigung
- Schadensersatzanspruch bei vorgetäuschtem Eigenbedarf
Das Landgericht Heidelberg hat kürzlich in einem Urteil vom 20. Juni 2024 (Aktenzeichen 5 S 46/23) entschieden, dass eine schwerbehinderte Frau ihre Wohnung trotz der Kündigung wegen Eigenbedarfs behalten darf. Diese Entscheidung hebt die Wichtigkeit der Interessenabwägung zwischen Vermieteranliegen und den Härtefällen der Mieter hervor. Dabei wurde das vorherige Urteil des Amtsgerichts, das zu einem anderen Ergebnis kam, durch das Landgericht aufgehoben. Was Sie zum Thema Eigenbedarfskündigung wissen sollten und wie das Landgericht sein Urteil begründet hat, erfahren Sie in diesem Ratgeber.
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Wann der Vermieter wegen Eigenbedarf kündigen darf
Gemäß § 573 Absatz 2 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist es einem Vermieter erlaubt, das Mietverhältnis aufgrund von Eigenbedarf zu beenden, sofern er die Wohnung für sich selbst, seine Familienmitglieder oder andere Haushaltsangehörige benötigt. Eine Eigenbedarfskündigung ist jedoch nicht gültig für frühere Lebenspartner, geschiedene Lebensgefährten oder Ex-Ehegatten.
Ein Vermieter darf die Kündigung wegen Eigenbedarf nur aussprechen, wenn ein tatsächlicher Bedarf für die Nutzung der Immobilie vorliegt. Es genügt nicht, lediglich eine mögliche zukünftige Nutzung durch sich selbst oder Angehörige anzunehmen. Falls der Vermieter bereits beim Abschluss des Mietvertrages wusste, dass er später Eigenbedarf anmelden möchte und dies dem Mieter nicht mitgeteilt hat, verliert er sein Recht zur Kündigung.
Beispiele für einen berechtigten Anspruch des Vermieters
Das Recht zur Kündigung wegen Eigenbedarfs ist nur gültig, wenn der Anspruch des Vermieters gerechtfertigt und nachweisbar ist.
Kündigungen aufgrund von Eigenbedarf sind in folgenden Situationen möglich:
– Der Vermieter oder seine Familie benötigt die Wohnung aufgrund einer Familienvergrößerung durch Heirat oder Geburt eines Kindes, oder weil die Wohnung nach einem Arbeitsplatzwechsel näher am neuen Arbeitsort liegt.
– Die Eltern des Vermieters sind auf Pflege angewiesen und benötigen eine größere Wohnung, um Pflegepersonal Platz bieten zu können.
– Die Wohnung wird für Haushaltsmitglieder wie Ehepartner, Lebensgefährten oder nahe Angehörige wie Kinder, Enkel, Eltern, Großeltern, Schwiegereltern, Schwiegerkinder, Geschwister, Stief- oder Pflegekinder benötigt.
– Auch entferntere Verwandte, zu denen eine nachweislich enge persönliche Beziehung besteht, können ein Grund für eine Eigenbedarfskündigung sein, wobei Missbrauch strikt ausgeschlossen ist.
– Zudem kann Eigenbedarf angemeldet werden, wenn die Wohnung für Haushaltspersonal wie Au-pairs oder Pflegekräfte benötigt wird.
Härtefallregelung – wann Mieter geschützt sind
Eine Härtefallregelung kann bei Kündigungen wegen Eigenbedarfs greifen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, die einen Auszug für den Mieter unzumutbar machen. Diese Sozialklausel kommt beispielsweise bei hohem Alter, Krankheit oder einer langen Mietdauer zum Tragen. In einigen Fällen ist die Sozialklausel jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum wirksam. Das gilt, wenn schulpflichtige Kinder im Haushalt leben, eine lange Wohndauer besteht oder ein wichtiges Examen bevorsteht.
Ob die Sozialklausel anwendbar ist, hängt davon ab, ob der Härtefall des Mieters das Kündigungsinteresse des Vermieters überwiegt. Mieter, die einen Härtefall geltend machen wollen, müssen spätestens zwei Monate vor dem Ende des Mietverhältnisses schriftlich Widerspruch einlegen. Es ist ratsam, in solchen Fällen juristischen Rat einzuholen, um die mietrechtlichen Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen.
Urteil des Landgerichts Heidelberg – der Fall und die Begründung
Um Härtefälle im Mietrecht ging es auch in dem aktuellen Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 20.06.2024 (Aktenzeichen 5 S 46/23). Die Mieterin, die seit 2004 eine barrierefreie Erdgeschosswohnung bewohnte, war aufgrund ihrer Behinderung und Pflegebedürftigkeit auf diese Wohnung angewiesen. Im Jahr 2023 wurde der Mietvertrag von den Eigentümern, die die Immobilie im Jahr 2015 erworben hatten, gekündigt. Sie planten, die fast 90-jährige, pflegebedürftige Mutter eines der Vermieter dort unterzubringen. Unterstützung sollte die Mutter von einem Enkel und dessen Familie erhalten.
Die Mieterin legte Widerspruch gegen die Kündigung ein. Sie berief sich auf § 574 Abs. 1 BGB und argumentierte, dass die Kündigung für sie eine unzumutbare Härte darstelle. Seit 2019 hatte sie erfolglos nach einer passenden Alternativwohnung in Heidelberg gesucht. Die erste Instanz sah den Eigenbedarf als gerechtfertigt an und gab der Räumungsklage statt. Das Landgericht entschied jedoch anders.
Obwohl das Landgericht die legitimen Ansprüche der Vermieterseite anerkannte, stellte es fest, dass die Notwendigkeit der Mieterin, in ihrer speziell angepassten Wohnung zu bleiben, schwerer wiege. Die Richter betonten, dass eine Räumung für die Mieterin eine erhebliche Härte darstellen würde. Auch im Vergleich zu den Interessen der Vermieter sei dies als unzumutbar einzustufen. Die soziale und therapeutische Versorgung der Mieterin sei eng mit ihrer aktuellen Wohnung verbunden. Selbst der Einsatz eines Maklers durch die Vermieter hatte keine adäquate Ersatzwohnung erbracht. Das Gericht entschied daher, dass das Mietverhältnis fortgesetzt werden muss, bis eine angemessene Alternative gefunden wird.
Die Rechte von Mietern bei einer Eigenbedarfskündigung
Das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 20. Juni 2024 unterstreicht die Komplexität der Interessenabwägung bei Kündigungen wegen Eigenbedarfs. Es zeigt auf, dass Härtefälle wie dieser eine sorgfältige Überprüfung und Abwägung durch die Gerichte erfordern. Doch wie sollten Mieter bei einer Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter vorgehen?
Sollten Sie eine Kündigung aufgrund von Eigenbedarf erhalten haben, empfiehlt es sich dringend, fachlichen Rat einzuholen. Häufig enthalten solche Kündigungsschreiben Fehler, die ihre Gültigkeit infrage stellen. Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ist beispielsweise ungültig, wenn keine nachvollziehbare Begründung beigefügt ist. Sollte die Kündigung offensichtlich unwirksam sein, sind Sie als Mieter weder verpflichtet, der Kündigung zu widersprechen noch die Wohnung zu verlassen. Bei Unklarheiten in der Rechtslage ist es jedoch ratsam, einen Anwalt zu konsultieren, um eine fundierte Entscheidung über einen möglichen Widerspruch zu treffen.
Schadensersatzanspruch bei vorgetäuschtem Eigenbedarf
Hat der Vermieter den Eigenbedarf nur vorgetäuscht, haben Sie als betrogener Mieter das Recht auf Schadensersatz. In einem solchen Fall können Sie Ihrem ehemaligen Vermieter nachträglich sämtliche Umzugskosten in Rechnung stellen, ebenso wie die mögliche Differenz zu einer höheren Miete. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Sie wieder in Ihre frühere Wohnung zurückkehren können.
Wurde Ihnen wegen Eigenbedarfs gekündigt, muss der Vermieter nach der Kündigung auch tatsächlich innerhalb eines angemessenen Zeitraums in die Wohnung einziehen. Zwar gibt es keine festgelegte Frist für den Einzug, jedoch verlangt der Bundesgerichtshof, dass der Eigenbedarf vorliegt, „… wenn der Vermieter die Wohnung gegenwärtig oder in absehbarer Zeit benötigt“. Das bedeutet, er muss nicht sofort einziehen, sondern darf beispielsweise vorher Renovierungsarbeiten durchführen.
Unzulässig ist es jedoch, eine sogenannte Vorratskündigung auszusprechen, also eine Kündigung zu erklären, ohne dass ein konkreter Bedarf für die Eigennutzung besteht.
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